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Im IV. Programm der städtischen Realschule I0. zu Borna" vom März 1877 ist im Abschnitt "Chronik" zu lesen: "Zum Ersatz für die alljährlich wiederkehrenden Vergnügungsexkursionen wurde den Schülern auf ihren eigenen dringenden Wunsch der 29. August freigegeben, wegen der in unmittelbarer Nähe der Stadt stattfindenden Manoeuvres, ... Ebenso war auch der 6. September wegen der grossartigen "Kaiserparade von Pulgar" ein schulfreier Tag." Dies war Anlaß in dem "Wochenblatt für Borna, Lausigk, Frohburg, Regis, Rötha, Kohren" des Jahres 1876 zu lesen. Diese Zeitung war zugleich "Amtsblatt für die Königliche Amtshauptmannschaft Borna sowie für das Königliche Gerichtsamt zu Borna und die Stadträte zu Borna, Regis, Rötha". Die im folgenden dargelegten Fakten sind dieser dreimal wöchentlich erscheinenden Zeitung entnommen.



Die Manöver der sächsischen Truppen im Jahre 1876 beeinflußten sehr stark unseren Raum, d. h. die damaligen Amtshauptmannschaften Borna, Leipzig und Grimma. Sie begannen in kleineren Einheiten Mitte Juli und endeten im September mit einem Großmanöver des XIII. gegen das IV. Armeekorps. An all dem war das Bornaer Karabinierregiment beteiligt.
Am 15. Juli bezogen "die beiden in Pegau garnosierten Escadronen des Carabinier-Regiments in den Orten Kesselshain, Eyla, Gestewitz, Großzössen und Altstadt Borna" Quartier, "um ... an den Exercierübungen im Regiment theilzunehmen". Die Manöverübungen begannen am 2. August in den Regimentern.
Vom 17. bis 21. August folgten die Manöver in den Brigaden. In der Nähe von Borna waren dies die 2. Kavalleriebrigade (Karabinierregiment und Ulanenregiment Nr. 18) sowie eine Brigade aus zwei Husarenregimentern.
Vom 24. bis 26. August waren Übungen in "Detachement gemischter Waffen". Die Karabiniers waren mit dem 2. Husarenregiment und einigen Artillerieverbänden der 3. Infanteriebrigade zugeteilt. Ihr Eisatzgebiet lag bei Lausigk.
Hieran schlossen sich ab 28. August dreitägige Manöver der Divisionen an. Bei Borna war die 2. Infanteriedivision zu beobachten, der die 2. Kavalleriebrigade, das Feldartillerieregiment Nr. 28, die 1. reitende Batterie und zwei Pionierkompanien zugeteilt waren.
Dem folgten die Manöver des gesamten XII. Armeekorps vom 1. bis 9. September. Abschluß der Manöverfolge war das Treffen XII. gegen VI. Armeekorps im Raum Leipzig-Lucka-Lützen. Der Rückmarsch in die Ganisonen begann am 15. September. Die Fußtruppen wurden mit der Eisenbahn transportiert. Kavallerie und Artillerie zogen in mehreren getrennten Kolonnen über die Landstraßen. Am 21. waren alle Truppen wieder in ihren Standorten.
Alle Übungen bis zum 9. September waren streng geplant. So war z. B. schon verher bekannt, wie das XII. Korps "siegreich" gegen den markierten Freind vorzugehen hatte. Nur in der Begegnung der beiden Korps gegeneinander war die freie Disposition der Kommandierenden gegeben. Die Feststellung, wer die Besiegten waren, trafen nach der Endstellung eingeladene Ausländer.

Geplantes Turnfest fiel Manövervorbereitung zum Opfer

Lange vor dem Beginn der Mannöver liefen die Vorbereitungen. Prinz Georg, der das XII. Korps befehligte, informierte sich am 1. Mai im Gelände der Herbstübungen. Sein Quartier war für den 17.8. bis 1.9. in Otterwisch und für den 2. bis 7.9. in Rötha vorbereitet. Am Ende der Besichtigung empfing Kammerherr Freiherr von Friesen den Prinzen am Stadtrand von Rötha und geleitete ihn durch die Lindenallee zum Diner auf dem Schlosse.
Die aktiven Truppe wurden durch einen Großteil der Reserve der Entlassungslehrgänge 1872/71/70 verstärkt. Die Reservisten rüchten im Zeitraum vom 26. Juli bis 16. August bei ihren Truppenteilen ein.
Das für 1876 geplante Turnfest des Gauverbandes in Borna wurde erst einmal verschoben und sollte nach dem Kaisermanöver stattfinden. Die Bevölkerung hatte sich auf vielfache Einquartierung einzustellen. Ab Ende Juni war die Quartiermachung für 60.000 Mann im Gange. Mit der Ankündigung von 550 Mann Einquartierung in Borna für den 9. und 10. August wurde darauf hingewiesen, daß "Wohngebäude mit Catasternummern zu versehen" sind, "Räume instandzusetzen und Ställe herzurichten sind".
Auf Grund der Größe der Unternehmungen wurden, wenn die Zuweisung von einem Mann vorgeschrieben war, 5 Mann vorgesehen. Dabei war ein Maßstab anzuwenden, bei dem Unteroffiziere für 2, Portepeefähnriche für 3, Feldwebel für 5, Hauptleute für 10 und Stabsoffiziere für 20 Mann zu gelten hatten.
Wegen der Stärke der Einquartierung erhielten die Truppen meist Depotverpflegung. Es war aber vorgeschrieben, daß "Lager, Wasch- und Trinkgefäße sowie die Benutzung des Kochfeuers und der Koch-, Eß- und Waschgeräte des Quartiergebers zu gewähren sind". Die größte Einquartierung in Borna waren von 26. bis 28. August das Infanterieregiment Nr. 107 und ein Artillerietrupp mit 52 Offizieren, 1231 Unteroffizieren und Mannschaften sowie 58 Pferden. (Borna hatt zur Volkszählung 1875 6061 Einwohner.) Zur gleichen Zeit lag das Karabinierregiment seit 25. August wieder in Borna und Umgebung, nachdem es vorher zwischen Kohren und Geithain in "Cantonnementsquartieren" lag.

Am 5. September gab das Wochenblatt eine Einschätzung der Einquartierungen in Borna. Darin ist festgehalten, daß die Bevölkerung großes Interesse am Militär hatte. Jede der verschiedenen Truppengattungen sei umworben gewesen. Es gab keine Klagen. Auch nicht über das preußische Infanterieregiment 72, von dem man "vom Lande anderes hörte". (Dieses Regiment hatte am 11. August in Borna einen Ratsttag eingelegt.) Über das Infanterieregiment 107 wird vermerkt, daß seine Quartiermacher offensichtlich "strengere Anweisungen" hatten. Sie forderten: "Vorzügliche Lage und Ausstattung der Offiziers- und Unteroffiziersquartiere". Ihnen genügten Unterkünfte nicht, die andere "anstandslos befriedigt hatten". Den Bornaern brachte diese zeit eine Folge von Militärkonzerten, die am oder im Schützenhaus stattfanden. Am besten wurde in der Kritik die Kapelle des Schützenregimentes Nr. 108 beurteilt. Es war aber das am schlechtesten besuchte Konzert, da es am 30. August die Reihe abschloss und damit unter eingetretener Sättigung litt. Handel und Landwirtschaft profitierten am Verkauf an Soldaten und Magazine. Die Restaurants hatten eine "außerordentliche Frequenz". Das "Gasthaus zum Stern" war Absteigequartier für Prinz Georg, als er die 2. Kavalleriebrigade auf dem Exerzierplatz bei Bockwitz inspizierte. Im gleichen Bericht vom 21. August steht, daß in diesem Gasthaus "seit 8 Tagen bis zu 120 Offiziere speisten". Das Jahr 1876 hatte einen heißen Sommer. Im Blatt vom 17. August ist zu lesen: "Himmel, wann wird es endlich den Göttern gefallen, uns aus der Schwulitätszeit zu erlösen". "Die Soldaten hatten unter diesem heißen, trockenen und staubigen Wetter bei ihren Märschen am meisten zu leiden. So kann es nicht wunder nehmen, wenn auf den Märschen momentane Erkrankungen vorkommen."

Kaiserparade auf dem "Pulgarfeld"

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung paradierte am 6. September das XII. Armeekorps etwa 300 Meter vom Böhlener Bahnhof entfernt auf dem "Pulgarfeld" vor dem Kaiser. Für einen Teil der Zuschauer wurde eine große Tribüne eingerichtet. (Am 12. August ist von 1500 Tribünenplätzen, am 17. gar von 4000 die Rede.) Für die nummerierten Sitzplätze auf der überdachten Mitteltribüne wurde 5, 7 oder 9 Mark bezahlt. Auf den beiden Seitentribünen kostete der Zutritt 1,50 bzw. 2,50 Mark. Unter der Tribüne waren 24 Bier- und Speisebüffets eingerichtet. Unter der "Kaisertribüne" wurde nur "Gohliser Actienbier" ausgeschenkt. Für alle Besucher gab es datailierte Hinweise. An- und Abmarsch, Absperrungen usw. waren militärisch exakt geregelt; bis zu der Anordnung, daß sofort zu arretieren ist, wer auf der Bühne raucht. Von Leipzig und Chemnitz (5.20 Uhr) fuhren Sonderzüge die Schaulustigen nach Böhlen(8.36 Uhr) und nach dem Spektakel wieder zurück.

In der zehnten Stunde begann der Anmarsch der Truppen zur Aufstellung auf dem Paradeplatz. Das Militär hatte Paradeuniform angelegt. Die Truppen zu Fuß erschienen in weißen Beinkleidern mit Gepäck. Grenadiere, Karabiniers, Gardereiter, Ulanen und Artilleristen trugen den Roßschweif am Helm bzw. Czapka, die Husaren den Reiherbusch an der pelzmütze. Es sei ein imposantes Bild gewesen, aus dem sich besonders die "bunten Trupps der Cavalerie" heraushoben.
Der Kaiser fuhr derweil mit seinem Gefolge in seinem Zug von Leipzig zum Bahnhof Böhlen. Von da wurde zum Paradeplatz mit der Kutsche gefahren und erst dort auf die bereitgestellten Pferde gestiegen.

11 Uhr wirbelten die Trommler. Die Musikkorps intonierten die Nationalhymne. Kaiser Wilhelm ritt durch die - von der Gemeinde Pulgar errichtete - Ehrenpforte auf den Paradeplatz. Die Truppen präsentierten und riefen dreimal "Hurrah".
Nach dem Abreiten der Fronten nahm der Kaiser "mit der ganzen Suite" vor dem Mittelbalkon der Tribüne Aufstellung. Zur gleichen Zeit formierte sich das Armeekorps zum Defilee. Als der Defeliermarsch erklang, zog König Albert den Säbel und "spengte zu Pferde" an die Spitze der Truppe und führte salutierend das XII. Armeekorps an. Als das Grenadierregiment 101 anrückte, ritt der Kaiser an die Spitze "seines Regimentes", um dies in der Parade anzuführen. Gleiches unternahm Kronprinz Friedrich Wilhelm bei "seinen Husaren". Zuerst zogen die Fußtruppen und zuletzt die Reiterregimenter am Kaiser und seinem Gefolge vorbei.

Nach der Neuordnung der Truppen erfolgte ein zweiter Vorbeimarsch in veränderter Struktur. Waren z. B. die Fußtruppen beim ersten Mal in "Compagniecolone mit angefaßtem Gewehr" in drei Gliedern marschiert, so erfolgte bei der Wiederholung der Vorbeimarsch regimentsweise in "Companiefront mit Gewehr über".
Gegen 1 Uhr und 30 Minuten am Nachmittag war das "durch arge Staubwolken stark beeinträchtigte" militärische Spektakel zu Ende. Der Tag der Kaiserparade wurde mit einem feierlichen Zapfenstreich sämtlicher Musikkorps des XII. Armeekorps auf dem Augustusplatz in Leipzig mit Illumination und Feuerwerk beendet.

Am 13. September 1876 erließ König Albert einen Tagebefehl an das XII. Königlich Sächsische Armeekorps. In diesem dankte er den Teilnehmern der Manöver und der Kaiserparade für ihre Leistungen und stellte fest: "Zum ersten Mal seit den denkwürdigen Jahren 1870/71 ist das Sächsische Armee-Corps in diesen Tagen als Ganzes wieder vereint gewesen". Als Anerkennung erhielten die Unteroffiziere eine Mark und die Soldaten 50 Pfennig "Doucer" für die Teilnahme an der Kaiserparade.

Bei diesen militärischen Unternehmungen ging es natürlich nicht ohne Sach- und Flurschäden ab. Diese waren vom Betroffenen "ungesäumt beim Vorstand der Gemeinde" zu melden. Selbstständige Gutsbezirke hatten diese Mitteilung direkt an die Amtshauptmannschaft zu geben. Die angemeldeten Frucht- und Feldschäden beliefen sich in der Amtshauptmannschaft Leipzig auf 60.000 Mark.

Von der Heeresführung wurden in Auswertung dieser Manöver und aus Beobachtungen russischer Manöver Schußfolgerungen für die Kavallerie gezogen. Es wurde vorgeschlagen, auch die Kavallerie in Divisionen zu formieren und die Garnisonen mit einer oder zwei Eskadronen eingehen zu lassen, damit ein Reiterregiment in einem Standort vereint ist.

Zusammengestellt von Alfred Graunitz
Juli 1991

 

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